Mit 40 Jahren sollte man am höchsten Punkt seiner Karriere angekommen sein, heißt es oft. Nun ja, mit 42 bin ich ausgestiegen. Das Phänomen nennt sich, wie die FAZ schreibt, Opting Out: Frauen zwischen 40 und 50 schmeißen hin, geben ihre eigentlich gutlaufende Karriere auf und, aus Sicht der Personalverantwortlichen der Unternehmen, verschwinden einfach von der Bildfläche. Frauen, die erfolgreich sind und niemandem mehr etwas beweisen müssen, steigen aus.
Bild: go2/photocase.de
Was ist da los?
Warum gehen sie gerade dann, wenn sie in Ruhe die Früchte ihrer Arbeit ernten könnten?
In meinem Fall habe ich irgendwann festgestellt, dass ich da, wo ich gelandet war (im Management einer Versicherung), gar nicht hingehöre. Mein Alltag machte mir keinen Spaß mehr. Es war nie mein Ziel gewesen, den ganzen Tag unbequeme Business-Outfits zu tragen, in klimatisierten Räumen herumzusitzen und von Meeting zu Meeting zu rennen. Soviel zu den äußeren Bedingungen. Viel schwerer wogen die Strukturen, die Hierarchien, in denen ich mich täglich bewegen musste, der ständige Kampf, mit neuen Ideen überhaupt gehört zu werden. Und am schwersten wog das Gefühl, eine Maske tragen zu müssen, nicht ich selbst sein zu dürfen.
Natürlich gab es auch Dinge in meinem Job, die mir Spaß machten: mein Team, der kreative Part der Arbeit, die Interaktion mit Kunden, Dienstleistern, Wettbewerbern, Journalisten. Ich hatte sehr viel Freiheit und Flexibilität, konnte eigene Projekte umsetzen. Aber trotzdem: Die Balance stimmte nicht. Das war nicht das Leben, das ich mir vorgestellt hatte. Ich wollte weniger Stress und mehr Erfüllung, weniger Routine und mehr intellektuelle Stimulation, weniger Bohei und mehr Wirksamkeit. Ich wollte ein authentischeres und entspannteres Leben, in dem alles zusammenpasst.
Offensichtlich bin ich mit diesem Gefühl nicht allein. Am Ziel oder kurz vor dem Ziel stellen viele Frauen fest, dass der berufliche Erfolg ihnen nicht das bietet, was sie sich erhofft haben. Oder dass sie dafür Dinge tun müssen, die sie nicht tun wollen. Man zahlt einen Preis für Macht und Geld – und nicht jede Frau will das. Das ist legitim, denn im Gegensatz zu unseren Vorfahrinnen haben wir die freie Wahl, ob wir in dem (von Männern für Männer designten) Businesstheater mitspielen wollen.
Schon 1995 berichtete das Fortune Magazine über die Midlife Crisis von Top-Managerinnen: Ob Burnout, Langeweile oder eine wachsende Abneigung gegen den „Corporate Bullshit“ –Frauen in den besten Jahren verließen schon damals in großer Zahl ihre hochdotierten Jobs auf der Suche nach mehr Erfüllung.
Man könnte auch sagen: Sie kamen, sahen und gingen wieder. Auch wenn Männer ähnliche Erfahrungen machen, ebenfalls eine Midlife Crisis bekommen können und sich umorientieren, so scheinen Frauen sich eher bewusst zu sein, was nicht auf ihrem Grabstein stehen wird: „Ich habe alles für die Firma gegeben.“
Wohlgemerkt geht es nicht ums Aufgeben oder um einen Rückzug aus dem Arbeitsleben, wie eine von Fortune in Auftrag gegebene Umfrage unter 300 Managerinnen zwischen 35 und 49 Jahren ergab. Nur eine geringe Anzahl wählt ein Leben als Hausfrau. Viele nehmen eine Kurskorrektur vor in Richtung altruistischer Jobs und einer besseren Work-Life-Balance. Ein hoher Anteil macht sich selbstständig. Aber auch ein neues Studium oder ein Sabbatical sind häufig gewählte Wendepunkte. Dies gilt übrigens für Mütter und kinderlose Frauen gleichermaßen.
Nachdem Frauen sich in die Arbeitswelt gekämpft haben, kämpfen sie sich jetzt wieder heraus – bzw. definieren Arbeit und Erfolg neu. Es muss nicht das eine Ziel geben, dem alles untergeordnet wird. Frauen haben gern mehrere Eisen im Feuer. Neben der Familie sind das u. a. Freunde, Bildung, Ehrenamt und Hobbys.
Sowohl weiter gefasste Vorstellungen vom Leben als auch eine gründliche Unzufriedenheit im Job sind also die Treiber für den Exodus hochqualifizierter Frauen in der Mitte des Lebens. Doch was wollen Frauen? Was suchen sie in der Arbeit?
Sylvia Ann Hewlett und Melinda Marshall vom Center for Talent Innovation beschreiben in ihrer Studie „Women want five things“, was hochqualifizierten Frauen zwischen 35 und 50 bei der Arbeit wichtig ist:
- Entfaltung: Frauen entfalten sich, wenn sie etwas bewirken können und Einfluss haben, wenn sie sich selbst verwirklichen können. Voraussetzungen für Entfaltung sind Gesundheit und Wohlbefinden, Freiheit und Autonomie. Mit einem echten Maß an Kontrolle können Frauen konkurrierende Anforderungen managen – und zwar so, dass ihr physisches Wohlbefinden erhalten wird, sie ihre Energie aufladen und ihre emotionalen und spirituellen Bedürfnisse erfüllen können.
- Exzellenz: Frauen suchen die intellektuelle Herausforderung, um daran zu wachsen, sich zu verbessern und Expertin auf einem Gebiet zu werden. Dafür ist eine wertschätzende Umgebung wichtig. Deshalb brauchen Frauen Anerkennung.
- Sinn: Frauen finden Arbeit bedeutsam, wenn sie Erwartungen übertreffen können – ihre eigenen und die ihrer Familie oder Community. Es ist ihnen wichtig, ehrgeizige Ziele zu erreichen und eine langfristige Wirkung mit ihrer Arbeit zu erzielen.
Frauen finden Arbeit besonders sinnvoll, wenn sie hilft, die Gesellschaft auf Gebieten voranzubringen, die ihnen wichtig sind, z. B. Gesundheit und Bildung, soziale Gerechtigkeit, Umwelt.
- Förderung: Frauen suchen Mentoren, die an sie glauben und ihnen helfen, die nächste große Chance zu ergreifen. Doch sie helfen auch selbst, indem sie talentierte jüngere Kolleginnen und Kollegen fördern.
- Finanzielle Sicherheit: Frauen wollen gut verdienen, finanziell unabhängig sein und ihre Familie unterstützen.
Überraschenderweise zeigt die Studie ebenfalls, dass hochqualifizierte Männer im Alter von 35 bis 50 die gleichen fünf Dinge wollen. Frauen legen lediglich mehr Wert darauf. Im Unterschied zu Frauen sind Männer sich aber der Bedeutung von Macht stärker bewusst und verfolgen sie hartnäckiger. Frauen hingegen starten ihre Karriere machthungrig, verlieren aber mit den Jahren den Appetit. Die Forscherinnen schlussfolgern: Frauen verstehen nicht, dass Macht ihnen das gibt, was sie wollen.
Diese Schlussfolgerung der Forscherinnen verstört mich. Wieder einmal liegt das Defizit bei den Frauen, wieder einmal sollen sie endlich lernen, in männlich geprägten Strukturen zu funktionieren.
Meine Wahrnehmung ist eine andere: Frauen verändern gerade die Arbeitswelt. Sie finden Möglichkeiten jenseits der konventionellen Karriere, um das zu bekommen, was sie wollen. Und ebnen damit den Weg für Männer, es ihnen gleich zu tun.
Ich hatte 18 Jahre Berufserfahrung in deutschen Industriekonzernen und KMUs und habe über einen Teil meiner Erlebnisse einen Roman geschrieben. Diesen veröffentliche ich in Kürze bei Amazon/Kindle online. Das Buch zeigt, wie mit Haut und Haar eine Mitarbeiterin oder auch ein Mitarbeiter vereinnahmt wird. Tabuthemen werden benannt, jedoch Fragen offen gelassen, die sich aus dem Erfahrungsspektrum der Leserin/des Lesers beantworten können,
Hallo Britta, sehr interessant. Ich schreibe auch gerade ein Buch, von dem ich hoffe, dass es anderen Betroffenen hilft. Vielleicht magst Du ja mal Kontakt aufnehmen über mein Blog? Würde mich freuen. Lieben Gruß, Lydia
Hallo Lydia, danke für Deine Nachricht und die Einladung, mich an Deinem Blog zu beteiligen. Ich kann Dich nur ermutigen, Dein Buch zu schreiben. Bei mir hat es 11 Jahre gedauert, bis ich die Erfahrungen minutiös und spannend in einen Roman in 2006 verpackt habe. Nun ist er öffentlich: „Taube im Porzellanladen“ bei Amazon/kindle. Eigentlich waren es nur 24 Kapitel, doch ich habe noch ein 25. Kapitel hinzugefügt mit einem Lichtblick aus der Katastrophe. Das Buch zu schreiben hat mir sehr viel Freude gemacht und lässt mich die Erfahrung heute – nachdem ich viele Details vergessen habe – in einem klareren Licht sehen. Völlig blauäugig fand ich meinen Einstieg ins Berufsleben bei einem Konzern und hatte wirklich null Ahnung, was mich erwartete. Mein Buch soll aufklären, dass junge Leute erkennen, worauf sie sich einstellen müssen.
Kann ich absolut nachvollziehen. Wenn man merkt dass die Karriere, so wie sie sich entwickelt hat doch nicht zu einem passt sollte man etwas ändern. So viel Zeit, die man im Leben mit der Arbeit verbringt, da muss man einfach etwas finden was zu einem passt und einen glücklich macht (vielleicht nicht immer aber doch meistens). Wobei mich interessieren würde, was die Autorin denn stattdessen nun macht?
Ich habe mich 2015 nach 4 Jahren Festanstellung als Retoucher / Bildbearbeiterin selbstständig gemacht weil ich nach etwas Neuem gesucht habe, die Festanstellung mit ihren Strukturen hat nicht zu mir gepasst. Trotzdem hab ich damit einen „sicheren“ Job aufgegeben und wurde damals skeptisch beäugt. Grade mein Partner hatte Bedenken dass ich mich in die „Ungewissheit“ Selbstständigkeit stürzen wollte. Unterstützt hat er mich trotzdem. Heute hält er es für die absolut richtige Entscheidung aber den Mut zu kündigen musste ich alleine aufbringen ;-) Ich glaube Männer sehen sich oft noch mehr in der „Versorger“ Rolle und deshalb fällt es Ihnen schwerer einen Job zu verlassen, der zwar Geld und Prestige bringt aber keine Erfüllung bietet. Da sind Frauen besser drin, auf den eigenen Bauch zu hören und auch Konsequenzen daraus zu ziehen. Viele Grüße, Maxi
Liebe Maxi,
ich kenne als Personalberaterin auch die umgekehrten Fälle, dass Männer sich verändern wollen, ein tolles Angebot haben und dann aus Gründern der Sicherheit von ihren Frauen zurückgehalten werden. Wir sind einfach alle einzigartig.
Von daher ist es aus meiner Sicht wichtig, dass wir uns auf das fokussieren was wir erreichen wollen. Dass wir in uns die Gründe finden, warum es funktionieren wird und uns nicht durch Zweifel und Unsicherheit zurückhalten lassen.
Super, dass Du Dein Ding gemacht hast!
Herzliche Grüße, Ulrike
Hi Maxi, das klingt gut. Auch ich habe meine Lebensqualität durch die Selbstständigkeit um 100% erhöht, und das bei viel weniger Geld. ;) Ich habe mehrere Standbeine: Ich arbeite als Autorin und Texterin für kommerzielle Kunden, blogge auf Büronymus über die menschliche Seite der Arbeit und schreibe für verschiedene Medien wie die Businessladys, den Karriereletter, Emotion und Edition F. Ich bin MItgründerin von The Org Project, dem deutschen Wissenschaftsblog für New Work. Ich halte auch Vorträge zu diesen Themen. Außerdem entwickle und verkaufe ich eigene Produkte auf fonski.de. Schau mal auf mein Blog bueronymus.de, von dort kommst Du auf alle meine Projekte. Eigentlich habe ich immer alle Hände voll zu tun – und das meiste macht mir richtig viel Spaß und hilft mir, mein Potenzial weiter zu entfalten und die Welt ein kleines bisschen zu verbessern. Und das finde ich am wichtigsten. Liebe Grüße, Lydia
Danke für den Beitrag! Nagel auf den Kopf getroffen, liebe Lydia! Ich habe exakt dieselben Erfahrungen gemacht. Ich denke allerdings nicht, dass das Ziel „falsch“ ist bzw. nicht zu uns passt und wir uns irgendwann bewusst werden, dass wir nicht hingehören, wo wir gelandet sind. Ich glaube eher, dass sich einfach die Prioritäten ändern. Am Anfang des Berufslebens sind Karriere, Position, Titel, Gehalt, etc. noch wichtig. Irgendwann sind diese Ziele erreicht und dadurch fällt die daraus gezogene Motivation weg. Die Karriere hat sich manifestiert, allzu große Überraschungen sind nicht mehr zu erwarten (Ausnahmen bestätigen immer die Regel), Zufriedenheit und Sinnerfüllung rücken in den Fokus, und gerade auch mit dem zunehmenden Bewusstsein, dass das Leben endlich ist, fragt man sich: War das alles? Ich hab‘ doch noch längst nicht alle meine Wünsche erfüllt…
Toller Beitrag. Das würde super in meinen Kanal unter Nadines Nähkästchen passen. Vielleicht hast du Lust, dort nochmal darüber zu sprechen? Würde mich freuen, LG Nadine
Hi Nadine, vielen Dank, freut mich, dass Dich der Text inspiriert hat. Danke auch für Deine Anfrage, leider passt es nicht bei mir. Trotzdem weiterhin viel Glück!
Ja, so kann das sein. Bei mir war es gerade anders herum. Ich habe mit 41 beschlossen, Unternehmerin zu werden. Vorher war ich sehr überwiegend selbstbestimmt und gemütlich zu Hause. An Karriere hatte ich bis dahin gar nicht gedacht.
Vermutlich ist Midlife eine besonders gute Zeit für Veränderungen.
Das ist ein großartiger Artikel und ich kann dieses Opting Out zu 100% Prozent verstehen. Ich hatte in den letzten Jahren die Möglichkeit Teilzeit in einem klassischen Mittelstand Unternehmen zu arbeiten und parallel in einem hochidealistischen, sozial-künstlerischen Feld selbstständig zu arbeiten. Dabei habe ich – gerade durch den Vergleich – sehr viel gelernt. Ich bin nicht der Meinung, dass am oberen Ende der Hierarchie eine Form von Macht wartet, die mir das bieten könnte, was ich mir vom Leben erwarte. Mich treibt die tiefe Sehnsucht in der Gesellschaft positiv und nachhaltig zu wirken. Das kann ich im klassischen Business Umfeld nicht. Mir ist da viel zu viel leeres Gerede, großes Getue und gleichzeitig zuwenig Umweltbewusstsein da. Generell fühle ich mich im Unternehmen eher beschränkt, keiner hat große, gesellschaftsrelevante Themen im Blick, man rennt von Meeting zu Meeting und produziert oft keinen richtigen Mehrwert. Ich möchte aber vor meiner Arbeit und mir selbst Hochachtung haben und etwas intellektuell Anspruchsvolles erschaffen, dass gleichzeitig einen Mehrwert für die Gesellschaft hat. Diese Größenordnung hat mir bisher noch in jedem Unternehmen gefehlt. Es gibt heute die Sozial-Entrepreneure, ich finde das toll. Den meisten Firmen fehlt aber der Weitblick, es gibt viel Blabla den lieben langen Tag, aber nicht vielmehr um es mal ganz zugespitzt und böse auszudrücken. Ich glaube, je älter Frauen werden desto eher durchschauen sie diese wertentleerte Business Welt. Männer können nicht so leicht aussteigen, da sie oft noch der Haupternährer der Familie sind. So erkläre ich mir ihr Bleiben. Das Macht Argument der Forscher ist völliger Quatsch. Es liegt einfach daran, dass der Großteil der Businesswelt ein relativ unspannendes Arbeitsumfeld ist in dem wenig Wachstum und Entfaltung möglich ist.
Hallo Lydia, ich bin gerade eben erst auf deinen Artikel gestoßen und mein erster Gedanke war „Moment, wer schreibt da über mich?!“ :D. Ich habe mich in so vielen Punkten wiedererkannt und dachte bislang, ich wäre alleine mit meiner „wahnwitzigen“ Entscheidung gewesen. Zumal mein Schritt für viele Menschen, und tatsächlich insbesondere Frauen, in meinem Umfeld zunächst absolut nicht nachvollziehbar war, kämpfen sie doch seit Jahren um auf so eine Position zu gelangen und irgendwie muss sich das doch wie versagen anfühlen, es in einer von Männern dominierten Führungsetage nicht geschafft zu haben… Und damals wie heute bin ich es nicht müde in diese Diskussion zu gehen. Vielen lieben Dank – ich fühle mich noch einmal ein wenig mehr bestärkt.
So ist es!
Großartiger Artikel, liebe Lydia.
Kompliment und Hochachtung!
Monika
Hallo liebe Lydia,
vielen Dank für diesen tollen Artikel.
Was machst Du denn eigentlich aktuell? Ich habe keinen der Kommentare
gelesen, muss ich dazu sagen. Meinst Du, ich könnte Kontakt mit
Dir aufnehmen oder Du mit mir? Hast Du Lust auf einen Austausch?
Ich würde mich über einen Austausch freuen.
Lieber Grüße
Angie