Die Welt von oben

Weil es ihr für ein Ausstellungsprojekt notwendig erscheint, macht die dänische Künstlerin Simone Aaberg Kærn 1996 einen Pilotenschein. 2002 startet sie in Kopenhagen in Richtung Kabul, um einem afghanischen Mädchen das Fliegen beizubringen. Seither ist die Freiheit immer noch nicht grenzenlos geworden. Aber Fliegen hat Folgen.

Das Flugzeug steht in einer Scheune. Staub und Dreck aus vielen Jahren verdecken den Anstrich, Hühner staksen darauf herum, auf einem Flügel pirscht sich eine Katze heran. Der Bauer lässt sich davon nicht beeindrucken. Jetzt wird eben mal ein bisschen abgestaubt, und dann lässt er auch noch den Motor an – die Hühner sind davon gar nicht begeistert. Es ist schließlich ihre Scheune, und so ein Flugzeug macht Lärm. „Kommt da gerade ein Auto?“, fragt der Bauer. Simone Aaberg Kærn läuft hinaus und schaut die Straße hinunter. Viel Verkehr ist hier eh nicht. Alles frei. Schon schiebt sich die alte Piper Colt aus der Scheune auf die Straße, der Bauer lässt sie anrollen – und hebt ab.

Das hätte eine reizende Anekdote abgegeben, wenn Aaberg Kærn das vierzig Jahre alte Flugzeug ins Museum gestellt hätte: Das Ding kann sogar noch fliegen! Später hat sie es tatsächlich auf Ausstellungen gezeigt. Aber zunächst einmal wollte sie damit selbst fliegen. Ein bisschen weiter als eine Landstraße entlang: 6000 Kilometer, bis nach Kabul. Dafür brauchte sie ein Flugzeug. Eigentlich hatte sie ja schon eins – in Form einer Flugbeteiligung. „Ich wollte erst damit fliegen“, sagt Aaberg Kærn. „Aber die anderen fanden die Idee nicht so gut, nach Afghanistan zu fliegen.“ Doch Aaberg Kærn lässt sich davon nicht beirren. Sie hat eine Vision. Oder eine Schnapsidee. Je nach Perspektive.

Auf die Idee, nach Afghanistan zu fliegen, kommt sie durch einen Magazinartikel. Er handelt von einem afghanischen Mädchen, das davon träumt, als Kampfpilotin gegen die Taliban anzutreten. Dieses Mädchen, beschließt Simone Aaberg Kærn, will sie treffen, und sie will ihm helfen, seinen Traum zu verwirklichen: Farial soll fliegen lernen – und das Flugzeug dafür wird sie zu ihr nach Kabul bringen.

Poesie in der Militärzone

Will man jemandem eine solchen Idee ausreden, gibt es ein ganzes Arsenal von Totschlagargumenten: Das klappt doch nie. Willst du dich umbringen? Idealistische Spinnerei! Eine gewisse Naivität aber propagiert Simone Aaberg Kærn als nützliches Werkzeug: „Ich hatte das Vertrauen, dass jeder Mensch in dem System ein guter Mensch ist. Wenn du an den Kern herankommst, dann ist alles möglich.“ Nur so, findet die Künstlerin, kann man bewältigen, was sie sich vorgenommen hatte: Im Jahr nach dem 11. September, als alle Welt nervös in jedem einen Feind sah, mit einem klapprigen Flugzeug nach Afghanistan zu reisen, um ein Zeichen zu setzen.

Fliege man dabei dann wie sie und ihr Partner Magnus Bejmar mit laufender Kamera in einen Militärflughafen ein, für den man keine Landeerlaubnis habe, dann gebe es nur einen Weg: Man müsse poetisch werden. „Wir mussten der Traum jedes Menschen sein, den wir trafen, und darauf bestehen, dass sie sich um diesen Traum kümmern. Wenn ich sehe, der kann mich ganz schnell umbringen, muss ich an sein Ja zu einem offenen Himmel glauben, daran, dass er auch eine Mutter und eine Schwester hat, und darauf bestehen, den Menschen hinter der Uniform anzusprechen.“

Dass Simone Aaberg Kærn überhaupt fliegen kann, beruht darauf, dass sie vor 15 Jahren erst einmal Mut und Entschlossenheit beweisen musste, um mit einem Kunstprojekt voranzukommen. Sie war auf die Geschichte weiblicher Piloten gestoßen: „Die Suffragetten kamen im späten 19. Jahrhundert, und mit ihnen kam die Kino- und Flugbewegung. Plötzlich gab es einen neuen, undefinierten Raum, wo Frauen sich tummeln konnten. Es war neu, es war aufregend, und es war angesagt“, sagt sie. Eine Verbindung zwischen Luftfahrt und Emanzipation liegt für sie auf der Hand. Aaberg Kærn ist davon überzeugt, dass es für Frauen anders gelaufen wäre, wenn sie sich nicht im Ersten Weltkrieg aus dem Cockpit hätten verdrängen lassen – weil sie sich nicht für einen Einsatz bei den Streitkräften ins Zeug legten.

Pionierinnen der Luftfahrt

„Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs gab es eine weltweite Gruppe von Pilotinnen, die nicht wollten, dass so etwas noch einmal passiert“, sagt sie. Diese Pilotinnen nannten sich die Ninety-Nines, zu den Gründerinnen gehörten Amelia Earhart, Gladys O’Donnell und Candis Hall. Ihre Geschichte inspiriert Aaberg Kærn zu einer Ausstellungsarbeit. Sie beschafft altes Filmmaterial, vertieft sich in das Thema. Dazu will sie auch Interviews mit US-Pilotinnen machen, die im Zweiten Weltkrieg mitgeflogen waren. Eine von ihnen, Anne Noggle, sagt daraufhin: „Wenn Sie mir mir darüber sprechen wollen, müssen sie erst einmal selbst geflogen sein.“ Daraufhin nimmt Aaberg Kærn Flugstunden, macht einen Privatflugschein und erwirbt obendrein eine Berechtigung zum Kunstflug. Zu den Interviews in den USA fliegt sie schon selbst.

Als sie nun das Flugzeug hat, um nach Kabul zu fliegen, beginnt die Vorbereitung mit einem Telefonat: Die Künstlerin ruft beim Pentagon an. Das erzählt sie so, als spräche sie von einer Tischreservierung: „Es stand in der Zeitung, dass da ein Krieg stattfinden wird, das war also eine amerikanische Angelegenheit, und die sagten nein.“ Simone Aaberg Kærn weiß, worauf sie sich da einlässt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf ihrer Reise schwer verletzt wird oder stirbt, setzt sie mit Fifty-Fifty an. Deshalb trifft sie Vorkehrungen: Sie macht Notfallpläne und führt unangenehme Gespräche. Selbst für die Ungewissheit sorgt sie vor: Es mag sein, dass der Kontakt abbricht und niemand je erfahren wird, was ihr zugestoßen ist. Ihrer Familie nimmt Aaberg Kærn das Versprechen ab, mit dem Warten aufzuhören, sie zu beerdigen und dann mit dem eigenen Leben weiterzumachen, sollte sie von ihr ein Jahr lang nichts mehr hören.

Ein lebensgefährlicher Traum

Im Besprechungsraum des internationalen Flughafen von Kopenhagen studiert sie aktuelle Karten und Vorschriften für Afghanistan und den Weg dahin. Ganz klar geht daraus hervor: Ihre Flughöhe wird in einer Militärzone liegen. Aber humanitäre Flüge seien zugelassen, außerdem könne man Route und Flughöhe variieren, wenn man ein Ziel habe, das nicht innerhalb der als sicher angegebenen Strecken liege. Dieses Schlupfloch im Regelnetz ist verdammt klein.
Die Künstlerin entscheidet sich, ihrer Naivitäts-Strategie zu folgen: „Wenn ich erst einmal an der Grenze zu Afghanistan ankomme, werden die Amerikaner sicherlich nicht anders können, als meinem Bravourstück zu applaudieren und mich reinzulassen.“ Sie ist sicher, dass das funktioniert. Aber diese Rechnung geht nicht recht auf. Bereits in der Türkei versucht man mehrmals, sie zum Umkehren zu bewegen. Dann bekommt sie absolut keine Einflugerlaubnis in den Iran. Sie fliegt trotzdem und klärt die Sache in zähen Verhandlungen nach der Landung. Nun, so kurz vor Afghanistan, fehlt ihr eine weitere Erlaubnis: Zwar hatte sie es geschafft, um die Einreise zu bitten. Aber die Koalitionsstreitkräfte vor Ort verweigern ihr den Flug. Das stellt sie vor gleich zwei Probleme.

Kameramann Magnus Bejmar und sie stecken jetzt im Iran fest, während spürbar die Vorbereitungen für den Irakkrieg anlaufen – da fallen Europäer auf. Sie sind sicher, dass sie im Gefängnis landen werden, sollten sie zu lange verweilen. Überall auf ihrer Reise haben sie gefilmt und Menschen interviewt, und mit dem Filmmaterial, das sie mit sich führen, gefährden sie womöglich auch diese Menschen.
Über eine Abreise nach Afghanistan wissen sie aber auch: Während des Flugs sind sie ein Abschussziel. Wenn ein unbekanntes Flugzeug auftauche, müsse es entfernt werden, hatte man ihnen gesagt. Nur eine Möglichkeit scheint machbar: umkehren. „Aber es regnete, und in Dänemark ist es sehr dunkel im November, es war also keine gute Alternative, nach Hause zu fliegen“, lacht Aaberg Kærn. „Das ist so wie im Schwimmbad: Man klettert ganz hoch auf das Zehnmeterbrett und jeder schaut zu – selbst wenn man dann ein bisschen Angst hat, muss man einfach springen. Es gibt keinen Weg zurück.“
Die Künstlerin startet also. Gleichzeitig naiv und durchorganisiert. Full total involvement, absolutes Engagement, nennt sie diese Hingabe für ihre Projekte. Auch das hat sie sich von den Veteraninnen abgeschaut, mit denen sie eigentlich nur zu Recherchezwecken gesprochen hatte. „Man geht hoch in die Luft und bekommt diese Entfernung von der Erde, wo man alles überblicken kann, man sieht die Muster und wie die Menschen ihre Dinge tun, das entfernt einen auf gewisse Weise von den Problemen am Boden.“ Das Fliegen verändert alles, sagt sie. Und sie empfiehlt es jeder Frau – als Alternative zu Meditation und anderen beliebten Techniken, die einen zum besseren Menschen machen sollen. Obendrein lerne man auch noch einen neuen Umgang mit Plänen aller Art. Während Aaberg Kærn früher mit Wutausbrüchen oder Tränen reagierte, wie man das eben so macht, bleibt sie jetzt eher kühl. „Als Pilotin weiß ich, eine Situation zu analysieren, einen Plan zu machen und herauszufinden, wie viel Treibstoff ich habe, und wenn ich mein Ziel nicht mit der Energie erreichen kann, die ich habe, frage ich mich, ob ich ein anderes Ziel finden kann, das genauso gut ist.“

Denken wie eine Pilotin

An ihren Alltag und an Projekte geht Aaberg Kærn inzwischen heran wie bei den Vorbereitungen für einen Flug. Will man irgendwohin fliegen, brauche man eine Karte, man müsse wissen, wo die Gefahren liegen. Wo stehen Berge, wie ist das Wetter? „Es geht um das pilotenhafte Denken, das ich von den Kampfpilotinnen des Zweiten Weltkriegs habe. Das haben sie mir weitergegeben“, sagt Aaberg Kærn. Und nun sieht sie es als ihre Pflicht an, anderen Menschen genauso freigiebig zu begegnen. Sie glaubt fest daran, dass Frauen sich gegenseitig voranbringen – und dass darin eine Verantwortung liegt.
Auf Deutsch klingt Schwesternschaft nach Kloster und Nonnentracht. Skysisters hört sich hingegen unbeschwert an. Luftschlösser bauen sie trotzdem nicht. „Ich glaubte nicht, dass Farial wirklich eine Chance hätte, Kampfpilotin zu werden“, sagt sie über den Zweck ihres Flugs nach Kabul. „Aber ich fand, sie sollte wenigstens die Chance haben, etwas zu steuern, zum ersten Mal in ihrem Leben die volle Kontrolle zu haben.“
Farial ist tatsächlich geflogen. Ein Fluglehrer war dabei, Simone Aaberg Kærn auch, und das alte Flugzeug aus der dänischen Scheune. Aus der Reise machten die Künstlerin und ihr Kompagnon Magnus Bejmar den Dokumentarfilm „Smiling in a War Zone“ (deutscher Titel: „50 Stunden bis Kabul“). „Sie dachten, ich werde eine Burka-Flugschule in Kabul eröffnen“, lacht die Künstlerin. Dabei dürfen Frauen in Afghanistan nicht einmal Auto fahren. In Kabul sei es zwar erlaubt, und sie habe die ersten Führerscheininhaberinnen getroffen. Aber es gab Leute, die auf diese Frauen schossen. Eines Abends hatte sie im Scherz von einer Burka-Flugschule gesprochen, und daraufhin kamen Väter zu ihr, um ihre Töchter anzumelden. „Piloten sind eben sehr gut sichtbare Symbole, die viele Menschen inspirieren, selbst wenn die dann nicht haargenau dasselbe tun“, sagt sie.

Und wer fliegt jetzt?

Farial ist jedenfalls nach ihren Flugstunden nicht Kampfpilotin geworden. Sie hat sich aber auch nicht in den Schoß der Familie zurückgezogen. Kürzlich schloss sie ein Informatikstudium ab, denkt über Auslandserfahrung nach, brennt aber immer noch dafür, am Ende in Afghanistan zu arbeiten, um zu helfen, das Land aufzubauen. Simone Aaberg Kærn steht mit ihr in Verbindung. Und mit einer afghanischen Kampfpilotin. Das war eine der Überraschungen, die die Reise für sie bereithielt: Farial war gar nicht die erste fliegende Afghanin. Aber von Letifa, die inzwischen auf Betreiben Aaberg Kærns auf internationalen Konferenzen spricht, hätte die Welt ohne Farials Traum wohl kaum erfahren.

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